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Eine Botin aus den 1970er Jahren

by Theresia Enzensberger

Seit ein paar Tagen blättere ich in Heften, die mir meine Mutter aus München mitgebracht hat. Fünf Exemplare der „Schwarzen Botin“, eine feministische Zeitschrift mit satirischem Unterton, die 1976 von Gabriele Goettle gegründet wurde und in der Frauen wie Silvia Bovenschen, Elfriede Jelinek, Meret Oppenheim und Roswitha Kaever publizierten. Roswitha Kaever war damals der Name meiner Mutter (später änderte sie ihren Vornamen und heiratete noch einmal, was zur Folge hatte, dass ein völlig neuer Name herauskam: heute heißt sie Katharina Enzensberger). Politisch sind meine Mutter und ich uns selten einig, deswegen ist es irgendwie eine schöne Überraschung, dass sie damals so aktiv in der Frauenbewegung war.

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In einem Vorwort zur ersten Ausgabe schreibt Goettle: „Wir haben keinerlei Interesse, irgendwelche Karrieren als Gallionsfiguren anzustreben, genausowenig liegt es in unserer Absicht, mit anderen Frauenzeitungen konkurrieren zu wollen; was wir allerdings anstreben, und wo wir großes Interesse zeigen, ist die rücksichtsloseste Bekämpfung jener Frauen, welche die übrigen für dumm verkaufen wollen und sich das von ihnen auch noch bezahlen lassen.“ Passenderweise steht in einem Text mit dem schönen Titel „Im Januar sollen 200 000 Frauen penetriert werden – Kleine Anmerkungen zu Alice Schwarzer“ ein paar Seiten weiter: „Wir wollen Frau S. eine gewisse journalistische Fertigkeit und das echte Anliegen keinesfalls absprechen, allerdings liegt es klar vor Augen, daß marktfreundlicher Journalismus und die Interessen der Frauenbewegung nur derjenigen vereinbar scheinen können, die in großem Abstand zu letzteren und unmittelbarer Nähe zum ersteren sich ansiedelt. Belanglosigkeit, die sie in gewissen Situationen für sich geltend gemacht hat, wird für die Frauenbewegung in dem Moment außerordentlich lästig, wo Frau S. sie unbedingt mit ihrer journalistischen Karriere kommerzialisieren will.“

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Gut zu wissen, dass Frau Schwarzer für manche Feministinnen schon damals „außerordentlich lästig“ war. Ich hatte immer gedacht, das größte Problem an Alice Schwarzer sei, dass sie den Geist des Feminismus der zweiten Welle so öffentlich vor sich herumträgt, dass es praktisch unmöglich ist, einem weiteren Publikum klarzumachen, dass es neue Theorien gibt und moderner Feminismus nicht gleich „Mann böse, Sex böse, Frau gut“ bedeutet. Dank der „Schwarzen Botin“ ist mein Bild von dieser zweiten Welle jetzt ein wenig differenzierter. Fast wünsche ich mir, die Autorinnen hätten „Karrieren als Gallionsfiguren“ angestrebt, dann würde mir vielleicht jetzt nicht in jeder Talkshow zum Thema das Schwarzergesicht entgegenleuchten.

In Heft 2 äußert sich meine Mutter sehr hellsichtig zum Begriff der „weiblichen Sprache“: „Vielleicht sollte man die fatalen Begriffe von weiblicher Sprache, weiblicher Ästhetik auflösen und von einer Sprache, einer Ästhetik reden, die dazu taugt, Träume, Wünsche und Wirklichkeit der Frau auszudrücken. Die Versuche, der adamitischen eine evitische Namensgebung entgegenzustellen, sind unsichere Anfänge“. Bravo, Mama!

Wer jetzt Fan ist, sollte heute Abend in die Fahimi Bar am Kottbusser Tor kommen. Dort liest meine Mutter um 20 Uhr aus ihrem neuen Erzählband „Stufen“.

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