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Gemalte Zukunft

by Hanno Hauenstein

Der Waffenmarkt steht vor einer Revolution – behauptet zumindest die Münchner Firma Armatix. Die Seite des Herstellers sieht nicht anders aus als erwartet – phallische Grafik, schnittiges Design auf schwarzem Grund, „Perfektion aus Prinzip“. Im Video spricht Generalleutnant a.D. Jörg Schöhnböhm, der neben seinem Bundeswehr-Inspekteurs-Job auch CDU-Politiker ist und bis 2009 Innenminister des Landes Brandenburg war, von Sicherheit. Doch irgendwas ist da anders. Armatix wirbt mit „schlauen Waffen“. Der in Europa gelobte Verkaufsrenner ist eine Kleinkaliberpistole namens iP1, die man alsbald auf den zwölf Milliarden Dollar schweren US-Markt wirft. Der Clue: Das Modell funktioniert lediglich in Wechselwirkung mit einer Armbanduhr, die nach Eingabe eines Codes ein Signal sendet und die Waffe entsperrt. Missbrauch soll so nahezu unmöglich werden.

IP1

Die haarsträubende Nachricht im Subtext: Wir stellen zwar Waffen her, sind aber keine Unholde. Nein, eigentlich sind wir Humanisten, Missbrauch soll ja verhindert werden! Und, besser noch, da Deutschland ja Innovationsweltmeister ist, bringen wir den USA bei wie’s richtig geht, und zwar im Großformat – die haben’s ja nötig.

Ungeachtet der geschichtsblinden Arroganz: Selbst wer nicht ans Gute im Falschen glaubt und zu dem Schluss gelangt, dass man ja eigentlich alle Waffen auf dem Müllberg der Geschichte entsorgen könnte, wird anerkennen: Bis wir an diesen Punkt kommen, sind schusssichere Waffen schon irgendwie sinnvoll. Man könnte da Diskussionen um Gewaltprävention anschließen, oder die Frage der Schuld- und Urteilsfähigkeit des Menschen im Zustand der Verfügbarkeit der Mittel von Gewalt – wie Joshua Oppenheimer in seiner surrealen Todesdoku. Was ich an Armatix irritierend fand: Was hier als Zukunftsmodell präsentiert wird, ist keine Ausweitung dessen, was schon existiert, sondern seine ausgewiesene Blockade.

Im Jahr 1910 fertigte der französische Künstler Villemard eine Reihe gemalter Postkarten an, wo er die Zukunft zeichnet, wie er sie sich im Jahr 2000 vorstellte. Feuerwehrmänner mit elektrischen Fledermausflügeln, die lodernde Flammen aus der Luft bekämpfen, eine Make-Up-Applikations-Maschine, ein Video-Telegraf (Skype!) – fast alle der hier ausgemalten Vorstellungen sind rudimentär bereits damals existierende, lediglich imaginär vervollständigte Gegenstände – manche davon herzlich-absurd, manche verblüffend präzise Voraussagen.

future17

Sind wir an einem Punkt, wo sich Zukunft eher über Ethik begründet als über die Logik der Optimierung? Dagegen spricht viel: Google-Glasses, Facebook, überhaupt „das Internet“ als sozialer Normalzustand. Vielleicht wäre es einfach an der Zeit, dass sich wieder einmal wer daran macht, die Zukunft neu zu malen.

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