
| ### | von | from | year | Lesezeit |
Maxim Biller beschreibt ein Flüchtlingsdrama am Beginn unseres Jahrhunderts. Sein Text ist hart, er ist poetisch, er geht an die Grenze der Wahrheit – und er geht einen entscheidenden Schritt darüber hinaus. Was ist dahinter? Hinter der Wahrheit: Unsere Angst? Die Angst der Menschen, die zu uns kommen? Ihre Sehnsucht? Ihre Not? “Alles, was ihr wollt, bekommt ihr nicht – aber ihr könnt es euch vorstellen! Aber das ist gelogen, Mama! Nichts kann man sich vorstellen. Das hier… hätt ich mir das hier vorstellen können?” Es ist ein realer Fall, den Biller in seinem Theaterstück „Kühltransport“ beschreibt, das im Jahr 2002 uraufgeführt wurde und das 60pages jetzt wieder veröffentlicht – weil es so ein zentraler Text ist für das, was sich an unseren Grenzen, in unserer Mitte, an den Rändern unserer Vorstellungskraft ereignet: 58 Chinesen in einem Container, 13 Wochen waren sie unterwegs, von Wladikawkas über Moskau, Prag, Berlin, Brüssel bis Zeebrügge – auf dieser letzten Station nun schließt der LKW-Fahrer die Lüftungsklappen, es ist der 18. Juni 2000, und als er sie fünfeinhalb Stunden später wieder öffnet, sind alle bis auf zwei Chinesen tot, qualvoll erstickt. Wie der Kolumnist und Schriftsteller Biller diese letzten Stunden rekonstruiert, wie er den Flüchtlingen eine Sprache und ein Schicksal gibt, wie er das universelle Leiden am konkreten Einzelfall schildert, das ist von besonderer Aktualität in einer Zeit, in der sich Europa in eine Festung verwandelt, gegen das Elend und die Not dieser Welt. Lampedusa, das zeigt Biller eindrucksvoll, ist kein Zufall. Lampedusa ist das System. Und jeder Tote trägt unseren Namen.
Maxim Biller, geboren 1960 in Prag, lebt seit 1970 in Deutschland. Seine Erzählungen, Reportagen, Kolumnen und Kritiken veröffentlicht er u. a. in “Tempo”, “Spiegel”, “Weltwoche”, in der “Süddeutschen Zeitung” und in der “Zeit”. Mit der 1991 herausgegebenen Sammlung seiner journalistischen Arbeiten gelang ihm eine rasant-literarische Fibel der 80er Jahre. Der vorliegende Erzählband “Wenn ich einmal reich und tot bin” wurde bereits ins Französische, Holländische, Dänische und Amerikanische übersetzt. Von Biller sind außerdem erschienen: “Die Tempojahre” (1991), Essays; “Harlem Holocaust” (1998), Erzählungen; sowie “Die Tochter”(2000), Roman.